Gegenstände aus dem ehemaligen Besitz von Wolfgang Hildesheimer (Hamburg 1916 – Poschiavo 1991) sowie Objekte mit der Kraft, das Ambiente eines der Hauptvertreter der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu evozieren, kennzeichnen die zum hundertsten Geburtsjahr eingerichtete kleine Ausstellung im Museo Poschiavino. In der intimen Anmutung eines Studiolo entwickelt sich die Dauerpräsentation auf den drei Ebenen einer Vitrine: Während auf der ersten ein Blick auf Hildesheimers Arbeitstisch inszeniert wird, ist die mittlere seinen vier grossen Meisterwerken gewidmet: Tynset, Masante, Mozart, Marbot. Eine Mozartbüste aus der Wohnung des Dichters verdeutlicht das falsche Bild, das er mit seinem berühmten Buch vom Sockel gestossen hat. „Mozart war meine beste Erfindung“ lautet eine autographe Aufzeichnung von 1991. Zuoberst ist Hildesheimers Oeuvre wie in einem Bücherregal aufgereiht: Erzählungen, Hörspiele, Theaterstücke und Prosamonologe, „Biographien“, Übersetzungen – alle in Erwartung, wiederentdeckt oder neu gelesen zu werden.
Hildesheimers Anwesenheit und Wirken in Poschiavo wird durch Leihgaben aus verschiedenem Privatbesitz vergegenwärtigt: Besondere Aufmerksamkeit verdienen einige persönliche Gegenstände, wie die Schreibmaschine – eine Olivetti Studio 44 –, eine Brille, zwei Pfeifen (eine dem leidenschaftlichen Raucher von Max Frisch geschenkte Dunhill und eine Savinelli). Wenige Zeilen mit dem autograph notierten Schlusssatz von Marbot lenken das Interesse auf sich: «Der Künstler spielt auf unserer Seele, aber wer spielt auf der Seele des Künstlers?»
Schliesslich bietet die vom Kunsthistoriker Gian Casper Bott kuratierte Ausstellung eine Leseecke, wo Aspekte von Hildesheimers Kreativität vertieft werden können, in Tynset blätternd, oder im 1961 dem Puschlav gewidmeten Text Erlebnis des Unerwarteten. Wirklichkeit und Fiktion steigern sich gegenseitig in dieser Hommage an die Wahlheimat.
Gian Casper Bott, Austellungskurator im Auftrag vom Museo poschiavino
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